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01.10.2024

Albtraum statt Erholung – Landesarchiv legt Ergebnisse zur Kinderverschickung vor

PK Kinderverschickung 5
Abschlussbericht der Projektgruppe "Aufarbeitung Kinderverschickung"

Für viele Mädchen und Jungen wurden die Kinderkuren, die von Ende der 1940er bis in die 1990er Jahre angeboten wurden, zum Albtraum. Die Projektgruppe "Aufarbeitung Kinderverschickung" des Landesarchivs Baden-Württemberg hat Betroffene bei der Aufarbeitung ihrer Geschichte unterstützt und zugleich Grundlagen für eine vertiefende Forschung geschaffen. Am Dienstag, 1. Oktober 2024, hat sie in Stuttgart ihren Abschlussbericht vorgestellt.

Mehrere Millionen Kinder in Deutschland wurden in den Nachkriegsjahrzehnten in sogenannte Kinderkuren geschickt. Doch nicht alle fanden während der sechswöchigen Aufenthalte die versprochene Erholung und Genesung. Viele Kinder und Jugendliche kehrten traumatisiert aus den Kur- und Erholungsheimen nach Hause zurück. Der erste Schock war für viele die lange und oft unverständliche Trennung von den Eltern - Besuche und Telefongespräche waren unerwünscht, Briefe wurden zensiert. In vielen Heimen herrschte eine strenge und lieblose Atmosphäre. Betroffene berichten von vielfältigen Formen von Gewalt und Vernachlässigung: Schlägen, Essenszwang, Kollektivstrafen, Beschämung, sexualisierter Gewalt, missbräuchlicher oder unerlaubter Gabe von Medikamenten und mehr.

Diese Vorfälle blieben lange im Verborgenen. Nachdem einige Jahre lang die Missstände in Einrichtungen der Jugend- und der Behindertenhilfe im Vordergrund standen, berichteten zunehmend auch ehemalige Verschickungskinder von vergleichbaren Missständen. Damit rückten die teilweise unzumutbaren Zustände in den Kur- und Erholungseinrichtungen ins Blickfeld der Öffentlichkeit. Seit Mai 2022 hat das Landesarchiv in enger Zusammenarbeit mit Betroffenen und dem Runden Tisch des Sozialministeriums die Diskussion, Forschung und Aufarbeitung der Kinderverschickung begleitet. „Viele Betroffene weisen zu Recht auf strukturelle Mängel hin wie die fehlende Entnazifizierung in den Erholungsheimen und die teilweise weit über den damaligen Zeitgeist hinausgehende Gewalt in verschiedensten Formen. Die Erinnerungen, das Wissen und auch die geleistete Recherchearbeit der Betroffenen ist entscheidend dafür, dem Thema die angemessene Aufmerksamkeit zu verschaffen“, sagte Prof. Dr. Gerald Maier, Präsident des Landesarchivs bei der Abschlusstagung am Dienstag in Stuttgart. Rund 160 Vertreterinnen und Vertretern aus Wissenschaft, Archiven, Behörden, Trägereinrichtungen sowie Betroffene diskutierten dort über den Stand der Aufarbeitung und darüber, welche weiteren Schritte noch nötig sind.