Ochsenkopf und Meerjungfrau - Wasserzeichen des Mittelalters
Wasserzeichen begegnen beim Kontakt mit Papier. Seit den Anfängen der Papierproduktion in Europa, die wohl noch ins 12. Jahrhundert zurückgehen, sind diese Wasserzeichen oder Papiermarken als Herkunfts- bzw. Qualitätsmerkmale ins Papier eingebracht. Sie kennzeichnen damit den Herstellungsort und Produktionsbetrieb, zunächst also die Papiermühle, wo das Papier produziert wurde. Modern formuliert würde man das Wasserzeichen quasi als "Label" ansprechen können, als Herkunftsmarke oder Gütelogo. Dabei geben sich die Wasserzeichen im Papier freilich nicht auf den ersten Blick zu erkennen, sondern erst, wenn man das Papier gegen eine Lichtquelle hält.
Die bekannteste aktuelle Verwendung finden Wasserzeichen in Banknoten. Die neuen Euro-Banknoten zeigen im Gegenlicht das Wasserzeichen auf beiden Seiten des unbedruckten Bereichs. Hier werden das Architekturmotiv des Geldscheins und die Wertzahl sichtbar. Wie seit jeher wird das Wasserzeichen noch immer direkt bei der Papierherstellung durch Variation der Papierstärke erzeugt. Es dient hier - wie bei den Geldscheinen überhaupt - in erster Linie zum Nachweis der Authentizität und zur Sicherung vor Fälschung.
Die Wasserzeichen des Mittelalters stehen zunächst repräsentativ für die zeitgenössische Papiererzeugung. Sie sind vor allem in den Papierhandschriften, -drucken und -zeichnungen erhalten, die heute in den Bibliotheken, Archiven und Museen verwahrt und gezeigt werden. Seitdem das Papier das teurere Pergament als Beschreibstoff mehr und mehr abgelöst hat - was in Mitteleuropa im 15. Jahrhundert, im Mittelmeergebiet früher, in Nord- und Osteuropa später zu beobachten ist - sollte es als bedeutendster Schriftträger bis in unsere Zeit fungieren. Natürlich hat sich die Papierproduktion gerade seit dem 19. Jahrhundert durch die Entwicklung der maschinellen Fertigung wesentlich verändert, und die Bedeutung der Wasserzeichen - bis auf die Banknoten - weitgehend marginalisiert. Doch erst mit der aktuellen Veränderung der Kommunikationsstrukturen durch die elektronischen Medien wird die Bedeutung des Papiers als Informationsträger zunehmend stärker reduziert. Die elektronische Speicherung auf unterschiedlichen Datenträgern ersetzt dabei bereits vielfach den Papierausdruck, wobei die Möglichkeiten ihrer langfristigen "Haltbarkeit" bislang noch nicht absehbar sind.
Das Papier des Mittelalters und seine Wasserzeichen stellen bei professioneller Aufbewahrung und adäquatem Umgang normalerweise keine konservatorischen Probleme dar. Die Papier- und Wasserzeichenforschung hat entsprechend lange Tradition und wird seit Jahrhunderten international betrieben. Bereits den Zeitgenossen war der Einsatz von Wasserzeichen bei der Papierproduktion und deren Funktion natürlich bewusst, wie schon früh der Traktat des Bartolfus de Saxoferrato zeigt.
Die Fragestellungen der modernen Papierhistoriker, Handschriften- und Inkunabelforscher, die sich vor allem mit den Wasserzeichen beschäftigen, orientieren sich neben den wirtschafts- und technikgeschichtlichen Feldern der Papierproduktion, des Papierhandels und der Papierverbreitung vor allem an den methodischen Möglichkeiten der Wasserzeichendatierung.
Durch die Wasserzeichensammlungen und Untersuchungen maßgeblicher Forscher wie Charles-Moïse Briquet oder Gerhard Piccard wurde die einschlägige Aussagekraft von Wasserzeichen zur Datierung undatierter Handschriften und Drucke herausgearbeitet. Der Wasserzeichenvergleich und die damit einhergehende Feststellung identischer Wasserzeichen bietet demnach die Möglichkeit, diese in der Regel auf wenige Jahre genau zu datieren, was gerade für die frühen Stücke des 14. bis 16. Jahrhunderts von einschlägiger wissenschaftlicher Bedeutung ist. Voraussetzung für die Datierung mittels Wasserzeichen ist entsprechend eine möglichst große Bandbreite datierter Wasserzeichen, die zunächst vor allem mit den gedruckten Wasserzeicheninventaren von Briquet und Piccard geleistet war. Zahlreiche weitere Wasserzeichenrepertorien ergänzen dieses Material, so dass wesentliche Teile der Wasserzeichen des Mittelalters mittlerweile erfasst sein dürften.
Seit einigen Jahren werden die großen Wasserzeichensammlungen auch elektronisch erschlossen und digital präsentiert, wobei jetzt die Sammlung von Gerhard Piccard im Hauptstaatsarchiv Stuttgart mit ca. 92.000 Wasserzeichenbelegen bereits komplett über Internet zugänglich ist. Daneben stehen die großen Datenbanken "WZMA" (Wien) und "WILC"(Den Haag), die nun als zentrale Informationsquellen in dem von der Europäischen Kommission geförderten Projekt "Bernstein - the memory of papers" zu einem gemeinsamen "watermark-portal" im Internet vereint werden sollen. Dabei spielt natürlich die gemeinsame Terminologie bei der Wasserzeichennomenklatur eine besondere Rolle. Die obligatorische Mehrsprachigkeit des Zugangs und der Wasserzeichenbeschreibung erfordert eine internationale Fachdiskussion, wie diese vor allem im Rahmen der IPH (International Association of Paper Historians) bereits Tradition hat.
"Ochsenkopf" und "Meerjungfrau" stehen schließlich für zwei bekannte und markante mittelalterliche Wasserzeichentypen, die die zeitgenössische Welt des frühen Papiers genauso repräsentieren, wie die mittelalterliche Ikonologie und die Problemfelder in der aktuellen Papier- und Wasserzeichenforschung. Sie stehen damit auch für die Verbindung mittelalterlicher Papierproduktion mit ihrer modernen Präsentation und Deutung.