Landeskunde
Vom Buch in die digitale Welt: Landeskunde und Landesbeschreibung seit 1820
Mit dem Wissen um die Gemeinsamkeiten und Unterschiedlichkeiten der historischen Landschaften Baden-Württembergs haben sich das Landesarchiv und seine Vorgängerbehörden intensiv um die Erforschung und breitenwirksame Vermittlung der Landeskunde bemüht. In der Kenntnis der eigenen Herkunft können das Land und seine Bürgerinnen und Bürger die Herausforderungen der Globalisierung und Internationalisierung erfolgreich bestehen. Die Landesbeschreibung hilft dabei, die Zukunft zu gestalten und bietet die Chance, aus Baden, Hohenzollern und Württemberg und den jeweiligen Wurzeln dieser Gebiete eine Einheit in der Vielfalt werden zu lassen.
Aufbauend auf der mit Beginn des 19. Jahrhunderts einsetzenden Tradition der Landesbeschreibung stellt das Landesarchiv sein landeskundliches Angebot seit 2012 über das Portal LEO-BW in digitaler Form zur Verfügung. Das vom Landesarchiv betriebene Onlineangebot führt Daten aus zahlreichen renommierten Kultureinrichtungen im ganzen Land zusammen. Neben Recherchefunktionen stehen umfangreiche redaktionelle Angebote und die Visualisierung von Daten über ein Kartenmodul zur Verfügung. Die digitale Präsentation und Vermittlung landeskundlicher Inhalte setzt dabei auf einer fundierten Datengrundlage auf. Hierfür konnten die über viele Jahrzehnte erarbeiteten Publikationen zu einzelnen Teilen des Landes herangezogen werden, aus denen als Kernelement von LEO-BW das Ortslexikon Baden-Württemberg entstanden ist.
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Die Landesbeschreibung – eine Besonderheit des Königreichs Württemberg
Der Beginn der Landesbeschreibung im Königreich Württemberg steht in direktem Zusammenhang zur Einrichtung des Statistisch-Topographisches Bureaus im Jahr 1820. Dieses hatte zwei Dinge zu leisten: Zum einen sollte es mit seiner Arbeit einen zuverlässigen Überblick über die geographischen und statistischen Verhältnisse des neuen Staates bieten. Zum anderen sollten seine Werke ein Gemeinschaftsgefühl im neuen Königreich etablieren, das eben erst von Napoleons Gnaden und durch seine Neuordnung des deutschen Südwestens entstanden war. Die Landesbeschreibung sollte „eine genaue und vollständige Landes-, Volks- und Ortskunde von Württemberg liefern“. Damit sollten die Wunden der Säkularisation und Mediatisierung geheilt und das bunt zusammengewürfelte Königreich allmählich integriert werden.
Das Statistisch-Topographische Bureau unter der Leitung von Johann Daniel Georg Memminger (1773–1840) gab hierzu die „Oberamtsbeschreibungen“ heraus. Die an die Staatsdiener ebenso wie an die Bewohnerinnen und Bewohner des Landes gerichteten Werke hatten das Ziel, einen exakten Überblick über die neuen Strukturen und Gebiete zu geben. Der Verwaltung sollte die detaillierte Landesaufnahme helfen, Ressourcen effektiver einzusetzen, denn nicht umsonst unterstand das Bureau dem Finanzministerium. Den Bewohnerinnen und Bewohnern sollte fundiertes Wissen geboten werden, damit „ein jeder Kenntnis habe von seinem Vaterlande“. Dies war ebenso neu wie Aufsehen erregend. Denn erstmals stellte der Staat sein Herrschaftswissen allen Interessierten zur Verfügung, anstatt es selbst zu hüten und den Einwohnerinnen und Einwohnern vorzuenthalten.
In zwei Beschreibungsstaffeln wurde das Königreich Württemberg behandelt. Im ersten Durchgang (1824–1886) wurden alle 64 Oberämter dargestellt. Die zweite Folge untersuchte zwischen 1893 und 1930 erneut elf Oberämter. Dabei wuchs der Umfang der Bücher erheblich. Dies war keine bloße quantitative Zunahme; verändert hat sich neben der Zahl der Mitarbeiter auch deren Herkunft. Der neue Leiter, Viktor Ernst (1871-1933), gewann immer mehr Wissenschaftler als Autoren, die das wissenschaftliche Niveau der Oberamtsbeschreibungen prägten.
In Baden gab es dazu nichts Vergleichbares – obwohl das Großherzogtum das gleiche Bedürfnis nach Identitätsstiftung hatte wie das Königreich Württemberg. Baden besaß jedoch keine Einrichtung, die landeskundliche Darstellungen auf der Ebene der Amtsbezirke verfasste. Der Grund dafür lag in der unsteten Verwaltungsentwicklung des Großherzogtums. Blieben in Württemberg die Oberämter von 1817 bis 1926 unverändert, unterlagen die badischen Bezirksämter einem ständigen Wandel. Damit war einer Landesbeschreibung, die sich an den unteren Verwaltungsebenen ausrichtete, der Boden entzogen. Es kam lediglich zu einzelnen Landesdarstellungen. Dies waren entweder Privatinitiativen wie die Werke von Kolb, Dittenberger, Heunisch, die alle drei statistisches Material auf Gemeindeebene lieferten, sowie die Arbeiten von Krieger und Stiefel. Oder aber sie waren halbamtlicher bis offizieller Natur, die aber nur spärliche oder gar keine Ortsbeschreibungen boten und das Großherzogtum nur allgemein behandelten.
Das Erfolgsmodell – die baden-württembergische Landesbeschreibung
Mit der Gründung des Landes Baden-Württemberg wurde die zuvor bereits in Württemberg praktizierte Tradition der Landesbeschreibung nach 1952 auf den badischen Landesteil ausgeweitet. Wie bereits 1820 war ein neues Gemeinwesen gebildet worden, wieder galt es, allen Bürgerinnen und Bürgern das junge Land auf der Grundlage seiner unteren Verwaltungseinheiten, nun der Kreise, zu vermitteln. Dazu erhielten die vier Regierungsbezirke jeweils eine Landesbeschreibungsstelle in Freiburg, Heidelberg (seit 1955), Stuttgart und Tübingen.
Von 1953 an unterstand die Landesbeschreibung mit ihren Nebenstellen dem Statistischen Landesamt. 1964 wechselte sie zur Staatlichen Archivverwaltung und wiederum elf Jahre später gelangte sie als Abteilung III organisatorisch in die neu gegründete Landesarchivdirektion. Ab 2005 gehörte sie zum Aufgabenbereich der Abteilung 10 „Landesforschung und Landesbeschreibung“ des neuen Landesarchivs Baden-Württemberg. Das „mit Stolz betrachtete württembergische Sondergut“ wurde baden-württembergisches Gemeingut. Von 1952 bis 2001 erschien eine Reihe von Kreisbeschreibungen, die wie ihre Vorgänger das Ziel verfolgten, Wissen zu vermitteln, Orientierung zu geben und Identitätsangebote zu bieten.
Danach erfolgte eine tiefgreifende Zäsur. Eine unter Einbindung aller Fachwissenschaften erarbeitete Neukonzeption rückte nun den Entwicklungsgedanken konsequenter in den Vordergrund. Unter der Fragestellung „Wie ist es zu den Verhältnissen gekommen, die den Kreis und seine Gemeinden heute prägen“ wurden die natürlichen und historischen Entwicklungen genauer herausgearbeitet und charakterisiert. Rund 500 Abbildungen (Bilder, Karten, Grafiken und Tabellen) machen bei den neuen Kreisbeschreibungen ein Viertel des Umfangs aus. Verwandte Themen und optische Elemente ermöglichen den Leserinnen und Lesern leichter den Vergleich zwischen den Gemeinden eines Kreises, aber auch über die Kreisgrenzen hinweg. Jede Kreisbeschreibung bildet so einen gewichtigen Baustein für eine umfassende Landeskunde.
Die Landesbeschreibung – das Land in seinen Kreisen
Seit der Gründung des Landes konnten 19 seiner 44 Stadt- und Landkreise dargestellt werden. 2005/06 folgen die Bände für den Kreis Schwäbisch Hall und den Hohenlohekreis, bis 2010 die Kreisbeschreibungen für die Landkreise Esslingen und Heilbronn. Damit kamen die Bürgerinnen und Bürger in den Genuss einer flächendeckenden und qualitativ anerkannten Grundlagenforschung, die hinsichtlich Intensität und Tradition in der bundesdeutschen Forschungs- und Publikationslandschaft einzigartig ist und eine wesentliche Basis bildet, auf der die stetige Weiterentwicklung des digitalen landeskundlichen Angebots in LEO-BW aufbauen kann.
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