Ausstellung „Unsichtbar – in der Mitte der Gesellschaft? Gesicht zeigen gegen Antisemitismus!“
Ein Interview mit dem Kunstschaffenden Peter Krullis über dessen Ausstellung, die vom 28.03. bis 27.05.2025 im Foyer des Generallandesarchivs in Karlsruhe zu sehen ist.
Peter Krullis, Jahrgang 1954, ist freischaffender Kunst- und Kulturschaffender, zudem blickt er auf eine umfangreiche Kuratorentätigkeit zurück. Er lebt und arbeitet in Tübingen. Schwerpunkte seiner künstlerischen Arbeit sind fotografische Werke, Malerei und Drucktechniken. Seine Arbeiten präsentiert er im In- und Ausland. Ein wichtiges Element seines Schaffens ist die Installation. Neben der eigenen künstlerischen Arbeit leitete er circa zwanzig Jahre lang das inklusiv aufgestellte Kunstprojekt für Menschen mit und ohne Behinderung der Lebenshilfe Tübingen e.V.
Lissi Maier-Rapaport, 1963 in München geboren, ist Bildende Künstlerin. Sie lebt und arbeitet in Tübingen. Ihre zweite Heimat ist Israel, wo sie mehrere Jahre lebte und dort Familie hat, die sie regelmäßig für längere Zeit besucht. Schwerpunkte ihrer Arbeiten sind Zeitgenössisches Mosaik, Fotografie, Skulptur, Plastik und Installation. Ihre Werke werden im In- und Ausland präsentiert. 2007 eröffnete sie die Mosaikschule Tübingen, wo sie unterschiedliche Techniken unterrichtet.
Für Ihre Ausstellung haben Sie den Titel: "Unsichtbar – in der Mitte der Gesellschaft? Gesicht zeigen gegen Antisemitismus!" gewählt. Welche Geschichte steckt dahinter?
Die Tatsache, dass Jüdinnen und Juden in Deutschland aus Angst vor Anfeindungen in zunehmendem Maße ihre Religionszugehörigkeit und ihre Herkunft verbergen, hat meine Kollegin Lissi Maier-Rapaport und mich beschäftigt. Sie sind vorsichtig geworden, wo und ob sie zum Beispiel in der Öffentlichkeit hebräisch sprechen, eine Kippa oder einen Davidstern offen sichtbar tragen. Auf diese Weise verbergen sie einen Teil ihrer Identität, sind in gewisser Weise "unsichtbar" und dennoch (physischer) Teil unserer Gesellschaft, jedoch auf manchmal schmerzhaft reduzierte Weise.
Für Lissi Maier-Rapaport waren vor allem auch die Erzählungen von Bekannten und Freunden jüdischer Herkunft bedrückend, die oft nur zufällig zur Sprache kamen. Dies kann und darf eine demokratisch-freiheitlich ausgerichtete Gesellschaft nicht hinnehmen. Diesen Entwicklungen versuchen wir mit "Gesicht zeigen gegen Antisemitismus!" etwas entgegenzusetzen.
Wie und wann ist das Projekt entstanden?
Mit dem Thema Antisemitismus und der Erinnerungskultur im Zusammenhang mit den Gräueltaten und Verbrechen der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland beschäftige ich mich persönlich bereits seit sehr langer Zeit. Meine künstlerische Auseinandersetzung wurde letztlich durch eine Reise Mitte der 2010er-Jahre ins Baltikum ausgelöst, bei der ich mehrere jüdische Museen und verschiedene Gedenkstätten besucht habe.
Im Jahr 2018 hatte ich die Gelegenheit, im Stadtmuseum in Tübingen eine Installation im Rahmen der Ausstellung "Mensch – Maschine" zu verwirklichen. Diese Möglichkeit nutzte ich, um mich das erste Mal auf künstlerische Weise mit dem Thema auseinanderzusetzen. In dieser Arbeit bezog ich mich auf die dort gezeigte Deportationsliste Tübinger Jüdinnen und Juden aus dem Jahr 1941.
Wie ich damals feststellen musste, stand diese Liste in unmittelbarem Zusammenhang mit der Ermordung von Jüdinnen und Juden in Riga. Eine Dokumentation hierüber hatte ich bei meiner Baltikum-Reise im dortigen jüdischen Museum entdeckt.
Anfang Dezember 1941 wurden Jüdinnen und Juden, die auf der Tübinger Deportationsliste standen, unter anderem nach Riga gebracht. Dies waren die Grundlagen meiner Installation "Tartaros – Riga 30. November 1941 – MenschMordMaschine".
Aus diesem Projekt erwuchs dann später auch die Zusammenarbeit mit meiner Kollegin Lissi Maier-Rapaport. Beide waren wir neben fünf weiteren Kunstschaffenden 2019 zu einer Gemeinschaftsausstellung in der Kulturhalle Tübingen zum Thema "Memoria – Erinnerung" eingeladen. Aus dem gemeinsamen Interesse an der Erinnerungskultur entwickelten wir die Installation "Heres – der Verlust der Menschlichkeit", die sich umfassender mit der Deportation und Ermordung Tübinger Jüdinnen und Juden und deren Biografien auseinandersetzte.
Bereits zu dieser Zeit stellte sich meiner Kollegin und mir die Frage, wie können wir das Thema Antisemitismus aus der – auch weiterhin wichtigen – Erinnerungskultur in die Gegenwart überführen. Nicht nur das Erinnern war und ist uns wichtig, sondern auch die Frage und die Umstände, wie ist jüdisches Leben heute von antisemitischen Vorurteilen oder gar Handlungen betroffen und vor allem: Wie werden diese Vorurteile / Handlungen im Alltag von Menschen jüdischer und nichtjüdischer Herkunft spürbar? Aus diesen Fragen entwickelte sich, wie eingangs beschrieben, das Projekt "Unsichtbar – in der Mitte der Gesellschaft? Gesicht zeigen gegen Antisemitismus!"
Ermöglicht wurde es durch ein Stipendium vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg. Weiterführend unterstützt wurde es vom Landesbeauftragten gegen Antisemitismus und für jüdisches Leben in Baden-Württemberg und vom Landratsamt Tübingen.
Durch die Unterstützung der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen und der Forschungsstelle Elie Wiesel, mit freundlicher Unterstützung der Hans-Schwörer-Stiftung, konnten wir das Projekt ausbauen und neue Teilnehmerinnen und Teilnehmer kamen hinzu. So konnten neben der Ausstellung auch Begleitveranstaltungen und ein Film zum Projekt realisiert werden.
Nach München, Tübingen und Karlsruhe wollen wir das Projekt in weiteren Städten zeigen. Es einer breiten Öffentlichkeit vorzustellen, ist heute wichtiger denn je, weil auch in Deutschland antisemitische Anfeindungen nochmals, insbesondere nach dem Massaker der Hamas vom 7. Oktober 2023, in erschreckendem Maße zugenommen haben.
Erinnern Sie sich noch an die erste Person, die Sie fotografiert haben?
Nicht an die eine erste Person, es waren verschiedene Personen aus meinem Freundes- und Bekanntenkreis. Nach und nach kamen immer mehr Menschen hinzu, die ich über meinen umfangreichen Verteiler angefragt hatte, der neben meinem Bekanntenkreis hauptsächlich Künstler-Kolleginnen und -Kollegen und Kulturschaffende der Region Tübingen umfasst.
Meine Kollegin Lissi Maier-Rapaport fotografierte parallel, neben einigen nichtjüdischen Personen aus ihrem Bekanntenkreis hauptsächlich die Teilnehmenden jüdischer Herkunft, da sie durch ihren aus Israel stammenden Ehemann deutlich mehr und teilweise persönliche Kontakte zu dieser Personengruppe hat.
Wie viele Porträtaufnahmen gibt es inzwischen?
Insgesamt haben sich mittlerweile 116 Personen mit einem Porträt beteiligt. Am Anfang waren es 75 Personen, durch die beiden Ausstellungen in Tübingen 2023/24 kamen jeweils weitere Personen dazu.
Es gibt 93 Aufnahmen nichtjüdischer Personen und 23 Aufnahmen von Personen jüdischer Herkunft. Den jüdischen Teilnehmenden stand die Möglichkeit offen, sich von vorn oder verdeckt porträtieren zu lassen. Davon haben sich 15 Personen von vorn porträtieren lassen und acht von hinten oder seitlich, das Gesicht vom Haar verdeckt. Dies, wie ich zu Anfang schon sagte, um ihre Identität aus Angst vor antisemitischen Anfeindungen zu verbergen.
Zudem sind auf den Personenbannern neun leere Fotohintergründe zu sehen, teilweise mit Statements von Jüdinnen oder Juden, denen es wichtig war, sich an dem Projekt zu beteiligen, jedoch nicht mit Foto in Erscheinung treten wollten. Dies unterstreicht nochmals das Problem jüdischer Personen, sich aus den mehrfach genannten Gründen "unsichtbar" inmitten der Gesellschaft zu verhalten.
Alle Teilnehmenden nichtjüdischer Herkunft sind als Vollporträt mit einem direkten Blick in die Kamera abgelichtet, da es gerade darum geht: "Gesicht zeigen gegen Antisemitismus!" – und somit verbunden mit dem Statement persönlich gegen Antisemitismus einzutreten.
War es schwierig, Menschen zu finden, die sich für das Projekt fotografieren lassen?
Im Bekanntenkreis weniger. Viele erklärten sich spontan bereit. Manche kamen nach einem persönlichen Gespräch dazu. Etliche waren jedoch auch nach Gesprächen aus verschiedenen Gründen zurückhaltend bis skeptisch. Zwar äußerten nur sehr wenige Ablehnung dem Projekt gegenüber, wollten sich aber auch aus Gründen, die sie nicht näher erklären wollten, nicht beteiligen.
Überraschend fand ich die Tatsache, dass sich doch weit weniger Akteure aus dem Kulturbereich der Region Tübingen beteiligten, als ich erhofft hatte. Desinteresse oder Ablehnung – aus welchem Grund auch immer – ich kann es nicht mit Bestimmtheit sagen. Zum Ausdruck kam jedoch des Öfteren, dass das Thema Antisemitismus in Deutschland mit der Politik Israels in Verbindung gebracht oder begründet wurde.
Bei den Personen jüdischer Herkunft, die wir erreichen konnten, war, wie schon beschrieben, die Motivation ausschlaggebend, über eigene Erfahrungen zu berichten: sowohl für die Teilnahme als auch für die Entscheidung dagegen.
Was soll mit der Ausstellung erreicht werden?
In einem Satz könnte man sagen: Wir wollen erreichen, dass Menschen, wenn sie unsere Ausstellung betrachten, darüber nachdenken, was antisemitisches Handeln in den Betroffenen auslöst und gleichzeitig auch für unser Zusammenleben in einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft bedeutet.
Uns ist natürlich klar, dass wir antisemitische Vorkommnisse in Wort oder Tat durch unser Projekt nicht verhindern oder Antisemitismus aus der deutschen Gesellschaft tilgen können, aber ich glaube fest daran, dass es seinen Beitrag dazu leisten kann, ein gesellschaftliches Klima zu schaffen, in dem Antisemitismus und rassistisch motivierte Ausgrenzung auf keinen fruchtbaren Boden mehr fällt.
Wie Marcel Reif beim diesjährigen Gedenken an den Holocaust im Bundestag den Zuhörenden mit auf den Weg gab, indem er seinen Vater, der auf dem Weg ins Vernichtungslager gerettet wurde, zitierte: "Sei ein Mensch."