Die NS-Führungsspitze Badens im Konflikt um Waldeck
Der Landtagspräsident ersucht den Reichsstatthalter um Unterstützung
Möglicherweise für Waldeck selbst überraschend fand der liberale Politiker in dem nationalsozialistischen Landtagspräsidenten Herbert Kraft einen Fürsprecher, der offensichtlich den beruflichen und wirtschaftlichen Ruin des Anwalts verhindern wollte. Am 18. Mai 1933 richtete Kraft folgendes Schreiben an Reichsstatthalter Wagner:
Als Präsident des Badischen Landtags fühle ich mich verpflichtet, Sie, verehrter Herr Reichsstatthalter, zu bitten, dass die Bestimmungen des Gesetzes über Zulassung zur Rechtsanwaltschaft vom 7. April 1933 nicht in ihrer ganzen Schärfe angewendet werden auf den ehemaligen Vizepräsidenten des Badischen Landtags Rechtsanwalt Dr. Florian Waldeck in Mannheim.
Dr. Waldeck ist zwar Halbjude, seine Frau, deren Vater und zwei Brüder im Felde gefallen sind, ist aber Arierin. Dr. Waldeck hat sich in seiner Eigenschaft als Vizepräsident und Abgeordneter gegen das neue Deutschland immer korrekt und loyal verhalten.
Aus menschlichen und politischen Gründen wäre es sicher angebracht, hier von dem Widerruf der Zulassung abzugehen, umsomehr da es sich hier um eine Kann-Vorschrift handelt. Dr. Waldeck war immerhin jahrelang Vizepräsident des Landtags und jedermann würde es verstehen, wenn hier eine Ausnahme gemacht werden würde.
Ministerpräsident und Fraktionsführer der N.S.D.A.P. Walter Köhler schliesst sich meiner Ansicht voll und ganz an.
Heil Hitler!...
Der Reichsstatthalter unterstützt das Anliegen des Landtagspräsidenten
In einem Schreiben an den Minister des Kultus, des Unterrichts und der Justiz vom 22. Mai 1933 befürwortete Reichsstatthalter Robert Wagner ebenfalls eine schonende Behandlung Waldecks:
Der Präsident des Landtags hat mir in der Frage der weiteren Zulassung des Rechtsanwalts Dr. Florian Waldeck in Mannheim das in Abschrift anliegende Schreiben (vom 18.5.1933) zugehen lassen. Ich bin mit der darin vertretenen Auffassung durchaus einverstanden und lege Wert darauf, dass dem Wunsch des Herrn Landtagspräsidenten entsprochen wird ...
Der Justizminister rügt das Verhalten des Landtagspräsidenten - Wackers Stellungnahme vom 23. Mai 1933
Das Quellenbeispiel enthält die Stellungnahme des entscheidungsberechtigten badischen Ministers Otto Wacker. Wacker erklärte sich, vor allem auf Grund der Intervention des Reichsstatthalters, bereit, das schon beschlossene Berufsverbot für Rechtsanwalt Waldeck aufzuheben. Sehr deutliche Kritik übte er dabei an dem Bittsteller Kraft: Dessen Petition an Wagner bewertete er als eine nicht zufällige, sondern politisch absichtliche bürokratische Fehlleistung des Landtagspräsidenten. - Handschriftliche Vermerke auf dem Originalschriftstück zeigen die Reaktion des Landtagspräsidenten. Sie machen deutlich, wie wenig er mit der Argumentation des Ministers einverstanden war.
Wackers Schreiben an Kraft vom 23. Mai 1933 lässt die wichtigsten Merkmale eines behördlichen Aktenschriftstücks, wie sie auch im "Dritten Reich" gebräuchlich waren, erkennen.
Ein Digitalisat der gesamten Quelle (S. 1 u. 2) können Sie hier herunterladen.
Merkmale eines behördlichen Aktenschriftstücks aus dem "Dritten Reich"
Briefkopf | benennt den Absender, die Justizabteilung des Doppelministeriums, den Sitz der Landeshauptstadt und das Datum (normalerweise der Unterschrift) |
Registrier-/Tagebuchnummer | dient in der Regel der verwaltungsmäßigen Erfassung und Bearbeitung der zu einem "Vorgang" gehörenden Schriftstücke. |
Empfänger des Schreibens | wird im unteren Teil des ersten Blattes genannt. |
Datum des Eingangs | wird handschriftlich auf dem Schriftstück vermerkt |
Betreff | dient ebenfalls der Erfassung und Bearbeitung |
Anrede und Grußformel | fallen in der Regel weg |
Unterschrift | bildet den "Schlußstein im Bau des Schriftstücks":
"Nicht umsonst haftet der Blick des Lesers zunächst an dieser Stelle, wo im selbstgeschriebenen Namenszug Wesen und Wirkung der Persönlichkeit anschaulich werden" (Heinrich Otto Meisner). Im "Dritten Reich" war die Floskel "Heil Hitler!" verbreitet. |
Unterschrift des Konzipienten | kann sich am Ende des Schriftstücks am rechten unteren Seitenrand befinden |
Der Landtagspräsident weist die Kritik des Justizministers zurück
Den Vorhaltungen Wackers beabsichtigte Kraft mit einer heftigen Antwort zu begegnen. In einem Briefentwurf legte er am 27. Mai 1933 seinen Standpunkt dar:
Das Recht jedes Staatsbürgers, sich direkt an den Reichsstatthalter zu wenden, könne dem Landtagspräsidenten "unmöglich" verwehrt sein. Wackers Haltung in der Frage der "Zulassung zur Rechtsanwaltschaft" stimme im Fall Waldeck mit der Politik der Reichsregierung nicht überein. Zuletzt formulierte Kraft einen Satz, der auf einen im bisherigen Verlauf der Auseinandersetzung unerwähnten, den Beteiligten aber bewußten Umstand verweist: "Die Form Ihres Schreibens lässt mich fast vermuten, dass Sie darin, obwohl es an den Landtagspräsidenten gerichtet ist, dessen Person und die des Ihnen unterstellten Ministerialrats nicht mit genügender Schärfe auseinandergehalten haben."
Das Verhältnis der beiden Kontrahenten war tatsächlich durch eine eigentümliche Konstellation gekennzeichnet: Gegenüber dem Justizminister Wacker beanspruchte Kraft einen ebenbürtigen politischen Rang und das Recht einer eigenständigen Vorgehensweise; als Ministerialrat und Leiter der Abteilung Höhere Schulen im badischen Unterrichtsministerium war derselbe Landtagspräsident Untergebener des Kultusministers Wacker.
Wohl um eine Zuspitzung des Konflikts und eine weitere Belastung der Beziehung zu seinem "Vorgesetzten" zu vermeiden, verzichtete Kraft darauf, den Text des Konzeptes auszufertigen und abzusenden. Das Wacker übermittelte Schreiben vom 3. Juni 1933 entbehrte größerer Schärfen und betonte stärker die Würde des Landtags (den die antiparlamentarischen Nationalsozialisten dann allerdings im Oktober 1933 abschafften):
Für die freundliche Mitteilung, dass Sie meiner Anregung entsprechend von einer Zurücknahme der Zulassung des Herrn Dr. Waldeck abgesehen haben, spreche ich Ihnen meinen verbindlichsten Dank aus.
Ich kann mich jedoch nach dem Wortlaut Ihres Schreibens vom 23. v. M. des Eindrucks nicht erwehren, als ob Sie die Stellung des Landtagspräsidenten und die ihm zustehenden rechtlichen Möglichkeiten falsch einschätzten. Denn Sie geben Ihrem Befremden darüber Ausdruck, dass ich mich in dieser Angelegenheit an den Herrn Reichsstatthalter gewandt habe. Dies gibt mir Anlass zu der grundsätzlichen Betonung, dass auch dem Präsidenten des Landtags das Recht zukommt, sich in geeigneten Fällen unmittelbar an den Herrn Reichsstatthalter zu wenden. Dass auch der Herr Ministerpräsident diese Auffassung teilt, dürfte durch seine Zustimmung zu meinem Schritte bestätigt sein.
Im übrigen bin ich der Ansicht, dass der von mir angeregte Schritt des Herrn Reichsstatthalters notwendig war, um die Würde des mir anvertrauten Amtes als Präsident des Landtags zu wahren; durch das beabsichtigte Vorgehen gegen einen früheren Vizepräsidenten, gegen dessen Amtsführung nie etwas einzuwenden war, wäre für dieses Ansehen eine von meinem Standpunkt aus nicht erträgliche Einbusse zu erwarten gewesen.
Schließlich möchte ich Ihrer Kritik gegenüber noch darauf aufmerksam machen, dass der Präsident des Landtags für die Handlungen, welche er in seiner amtlichen Eigenschaft unternimmt, nur dem Landtag selbst verantwortlich sein dürfte.
Der Herr Reichsstatthatter erhält Abschrift dieses Schreibens ...