Kapitel 1: Kaiser und Könige
Das Königssiegel war zunächst ein Porträtsiegel: Kopf-, Brust- und Ganzkörperporträt (auf dem Thron sitzend) war grob gesehen die Reihenfolge der Typen.
Im Spätmittelalter setzte sich das Wappensiegel als dominierender Typ auch für die Könige durch. Die oft ausufernden Wappendarstellungen enthalten Wappen aller Besit- zungen des Königshauses. Ebenso war der Reichsadler ein beliebtes Motiv.
Siegel Kaiser Ottos III.
Ungewöhnlich ist dieses Siegel in vielerlei Hinsicht. Vor allem aber: es ist eines der wenigen Kaiser- oder Königssiegel, die ein Herrschaftsprogramm darstellen und verbreiten: Renovatio imperii Romanorum, übersetzt Erneuerung des Römischen Reiches. So lautet die Umschrift auf einer Seite. Im Einklang mit und enger Zusammenarbeit mit dem Papst wollte Otto III. (König seit 983, Kaiser von 996-1002) das Römische Reich wiederherstellen. Für Könige und Kaiser war Blei als Siegelmaterial ungewöhnlich. Im vorliegenden Fall war wohl das päpstliche Siegel Vorbild. Die Figur auf der Seite mit der Renovatio Imperii-Umschrift, eine weibliche Person, wird als Allegorie der Stadt Rom gedeutet.
Siegel Kaiser Ottos III., 999, Original (Signatur: HStAS H 51 U 4), Vorderseite
Auf der anderen Seite wird der Kaiser im Brustbild, jedoch nach rechts schauend, dargestellt.
Siegel Kaiser Franz II.
Das Siegel Franz II. (Kaiser von 1792-1806), des letzten Kaisers des alten Reiches, ist ebenfalls ein Wappensiegel, das dem Siegel Rudolfs II. (siehe I. 6) weitgehend ähnelt. Hinzugekommen sind zwei aufrecht stehende Greife als Wappenhalter und zwei statt einer Königskrone in Höhe des Halses des Adlers. Das Tier trägt in der linken Klaue (vom Betrachter aus gesehen) ein Schwert (statt des Zepters) und in der rechten den Reichsapfel. Der Schild, der den Adler stark verdeckt, ist jetzt noch stärker unterteilt und zeigt weitere Herrschaften mit ihren Wappen. Die Bestandteile sind aber so klein geraten, dass sie nicht alle identifiziert werden können. In der Mitte rechts befindet sich gut erkennbar das württembergische Wappen. Es werden alle Herrschaften aufgeführt, auf die das Haus Habsburg einmal Anspruch hatte, ohne aber tatsächlich die Herrschaft auszuüben. Eine Ordenskette ist um den Schild gespannt, nämlich die des Goldenen Vlies, dem habsburgischen Hausorden.
Auf dem Deckel der Siegelkapsel ist eine Wappendarstellung eingraviert. Der doppelköpfige Reichadler trägt wieder alle Herrschaftsinsignien (statt wie früher der thronende König): Kaiser und Königskrone, in der linken Klaue das Schwert und in der rechten Klaue den Reichsapfel. Auf der Brust des Tieres befindet sich ein Schild mit dem rot-weiß-roten Österreichischen Wappen (auf der Kapsel nicht farbig wiedergegeben), auf dessen Mittelstreifen sich der Anfangsbuchstabe F und die Ordnungszahl II. für Franz II. befinden.
Das Siegel ist Bestandteil eines Wappenbriefes, der naturgemäß besonders feierlich war. Daher ist es besonders prachtvoll und üppig ausgefallen.
Goldbulle Kaiser Sigismund
Eine Besonderheit waren Siegel aus Gold, ein faktisch nur Königen vorbehaltener, besonders edler Siegelstoff. Diese sogenannten Goldbullen waren recht selten und wurden nur bei herausragenden Anlässen verwendet.
Im vorliegenden Beispiel bestätigt der Kaiser Sigismund (1368-1437, deutscher König seit 1410, Kaiser seit 1433) der Stadt Ulm die iurisdiktionelle Selbständigkeit. Das war eine wichtige Angelegenheit, die ein besonderes Siegel erforderte. In der dritten Zeile von unten wird die Besiegelung angesprochen mit den Worten versigelt mit unser keiserlichen Maiestat Gulden Bullen. Das Siegel ist durch eine rötliche Schnur an der Urkunde befestigt.
Das vordere Siegelbild entspricht einem Thronsiegel: der Kaiser sitzt auf einem reichlich mit Filialen und Kreuzblumen verzierten spätgotischen Stuhl. Krone, Zepter und Reichsapfel sind als Herrschaftszeichen gut erkennbar. Das Zepter hält Sigismund in seiner Rechten, den Reichsapfel in der Linken, ebenso wie schon Otto I. in seinem Siegel (siehe I.2). Der Kaiser trägt einen Vollbart, das Gesicht erweckt sogar den Eindruck von Realitätsnähe. Eine Besonderheit des Siegels ist die doppelte Umschrift: der Text läuft in zwei Schriftbändern um das Siegelbild.
Die Rückseite stellt die idealisierte Stadt Rom dar. Sigismund war erst seit Mai des Jahres Kaiser. Auf Rom und den Schutz der Stadt bezog sich das Kaisertum, worauf Sigismund hinweist. Das Siegelbild zeigt ein Torgebäude mit seitlichen zwei runden Türmen. Im Tor stehen auf drei Zeilen verteilt die Worte Aur/ea R/oma (übersetzt: Goldenes Rom).