XI. "Ich habe nicht gedacht, dass es zur Republik kommen würde."
Dem politischen Umschwung im Herbst 1918 stand die badische Sozialdemokratie - und mit ihr Ludwig Marum - offenkundig hilflos gegenüber. Bereit als staatstragende Institution Verantwortung zu tragen, rief sie in völliger Verkennung der militärischen Lage bis in den Oktober 1918 hinein auf, Kriegsanleihen zu zeichnen. Erst am 30. Oktober 1918 rang sich als erster badischer Sozialdemokrat Marum in einer Rede auf einer Parteiversammlung zu der Erkenntnis durch: "Wir haben den Krieg verloren." Die Schuld wurde dabei eher der versagenden Heimatfront als der außenpolitischen Unfähigkeit der Reichsregierung und der militärischen Niederlage zugewiesen - was zeigt wie weit die "Dolchstoßlegende" anfangs auch im sozialdemokratischen Milieu Fuß fassen konnte.
Die badische SPD feierte den Sieg des Parlamentarismus auf Reichsebene und sah selbstverständlich die Regierungsbeteiligung unter dem Reichskanzler Prinz Max von Baden als Fortsetzung ihrer in baden begonnenen pragmatischen Politik, die den Klassenkampf zugunsten von konkreten Einzelschritten zurückgestellt hatte: "Für uns Sozialdemokraten handelt es sich darum, dass wir einen Rechtsstaat bekommen, die Frage mit oder ohne Monarchie ist von untergeordneter Bedeutung" (Marum, Volksfreund 31.10.1918). Ziel für Baden war eine Verfassungsreform. Doch diese Bemühungen wurden durch den Soldatenaufstand und die Rätebewegung hinweggespült. Nun ging es darum, ob die großherzogliche Regierung freiwillig zurücktreten und der Großherzog abdanken würde. Um eine Revolution zu vermeiden, verhandelten ab dem 7.11.1918 die SPD - mit Marum - und die Nationalliberalen. Als man sich allerdings endlich durchgerungen hatte, der Regierung den Rücktritt offiziell nahe zu legen, hatte sie selber schon um die Entlassung gebeten.
In Karlsruhe schien alles einen legalen Weg zu gehen: Ein "Wohlfahrtsausschuss" wurde am 9. November vom Oberbürgermeister einberufen, um einem Regiment der Soldatenräte zuvorzukommen. Unter maßgeblichem Einsatz von Ludwig Marum - man tagte sogar in seinem Arbeitszimmer im Rathaus - gelang am 10. November unter Einschluss aller Parteien die Bildung einer Vorläufige Volksregierung gebildet. Marums Glaubwürdigkeit im bürgerlichen Lager und seine Fähigkeit, Chancen zu ergreifen und zu nutzen führten ihn so in die erste Reihe der badischen Sozialdemokraten. Der mehrheitlich sozialdemokratisch geprägten Regierung schwebte keine Revolution sondern der gleitende Übergang zu einer konstitutionellen Monarchie vor.
Diese Einstellungen förderten natürlich das Misstrauen gegenüber Marum von Seiten der revolutionären Kreise, der Räte und der USPD, die eine sozialistische Räterepublik errichten wollten. Dennoch gelang es Ludwig Marum als Vertreter der Vorläufigen Regierung auf dem Rätekongress in Mannheim am 21. und 22. November 1918 den revolutionären Elan der Räte zu kanalisieren. Die Einbindung der Räte in den von der Regierung gesteuerten Prozess bedeutete letztlich deren Wirkungslosigkeit.
Für Ludwig Marum bedeutete der Umbruch im November 1918 auch eine persönliche Zäsur: Nach dem Rücktritt des Großherzogs war Baden Republik geworden und Ludwig Marum ein in Krisenzeiten bewährter wichtiger badischer Politiker.