IV. Der "Arme Konrad" vor Gericht
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IV. Der "Tübinger Vertrag"
Der sogenannte "Tübinger Vertrag" wurde am 8. Juli 1514 auf dem Tübinger Landtag als Vergleich zwischen Herzog Ulrich von Württemberg einerseits und den württembergischen Prälaten und der Landschaft andererseits verabschiedet. Unter dem Druck der aufständischen Bevölkerung, die nach stärkerer politischer Mitsprache verlangte, hatte Herzog Ulrich zunächst einen Landtag für den 25. Juni nach Stuttgart einberufen. Hier sollte der Forderung des ‚Armen Konrad‘ nach Beteiligung entsprochen werden, indem – neben den üblichen Vertretern der Landschaft – auch die „von der gemeind“ pro Stadt und Amt zwei Abgeordnete entsenden durften. Auf Betreiben des Tübinger Vogts Konrad Breuning wurde der Landtag dann kurzfristig – um der größeren Sicherheit willen – nach Tübingen verlegt. Hier verhandelten dann allerdings nur die Vertreter der Landschaft und einige Prälaten mit Herzog Ulrich und seiner Regierung, während die Abgesandten der Gemeinden nicht zugezogen wurden und in Stuttgart anschließend vergeblich auf das Erscheinen des Herzogs warten mussten. Da Herzog Ulrich finanzielle Hilfe dringend benötigte, waren die Vertreter der Landschaft in der Position, im Gegenzug politische Mitsprache fordern zu können. Die Ergebnisse der Verhandlungen wurden im „Tübinger Vertrag“ festgehalten.
Die Landschaft verpflichtete sich darin zu jährlichen Zahlungen in Höhe von 22.000 Gulden über einen Zeitraum von fünf Jahren. Auch die Prälaten erklärten sich zu Zahlungen bereit, allerdings wurde für sie keine genaue Summe festgelegt. Laut Vertrag beliefen sich die Schulden des Herzogs zu diesem Zeitpunkt auf 800.000 Gulden, und um diese zu begleichen, verpflichteten sich Landschaft und Prälaten ab dem sechsten Jahr nach Inkrafttreten des Vertrags, weitere 22.000 Gulden jährlich an den Herzog zu zahlen bis die Schulden getilgt wären. Im Gegenzug für ihre finanzielle Unterstützung machte Herzog Ulrich der Landschaft weitreichende steuerliche, rechtliche und politische Zugeständnisse. Der steuerliche Bereich umfasste die Abschaffung des Landschadens und die Bestätigung des Steuerbewilligungsrechts des Landtages. Die rechtlichen Neuerungen gewährleisteten etwa das Recht auf freien Zug und eine Rechtssicherheit in Strafsachen. Gleichzeitig wurden im sogenannten „Empörerartikel“ harte Strafen für Friedensbrecher und Empörer festgelegt, die bei Ungehorsam gegenüber der Obrigkeit „Leib und Leben“ verwirkt haben sollten (vgl. Edition im Anhang X).
Das Besondere an diesen Neuerungen war, dass sie nicht nur der „Ehrbarkeit“ als den Vertretern der Landschaft, also den privilegierten Bürgern Württembergs, sondern allen Einwohnern zugestanden wurden und damit faktisch zu württembergischen Grundrechten erhob. Des Weiteren wurde der Landschaft politische Mitsprache in folgenden Bereichen eingeräumt: Bei einem geplanten Verkauf von Landesteilen musste der Herzog fortan einen Landtag einberufen und dessen Zustimmung einholen. Ohne diese Zustimmung durften keine Gebiete mehr verkauft werden. Ebenso musste ein Landtag über zukünftige Kriege entscheiden. Weder sogenannte „Hauptkriege“ noch kleinere militärische Auseinandersetzungen durften ohne das Wissen des Landtages geführt werden. Für den Fall, dass der Herzog die Unterstützung der Landschaft benötigte, war er verpflichtet, ebenfalls einen Landtag einzuberufen, um dessen Einverständnis einzuholen. Zusätzlich verpflichtete sich der Herzog, im Kriegsfall alleine für die Verpflegung der Soldaten aufzukommen, was in erster Linie für die Städte eine große finanzielle Entlastung bedeutete. Um diese Zugeständnisse auch für die Zukunft zu sichern, wurde im Tübinger Vertrag festgelegt, dass alle zukünftigen Herzöge von Württemberg bei ihrem Regierungsantritt diesen Vertrag bestätigen sollten. Damit war ein Widerstandsrecht der Landstände anerkannt.
Der Tübinger Vertrag wurde in einer größeren Anzahl von Drucken vervielfältigt, die beiden Urkundenausfertigungen, wovon eine der Herzog und die andere die Landschaft erhielt, sind nicht erhalten. Der Druck vereinigt neben dem eigentlichen Vertrag eine Reihe weiterer ergänzender Urkunden. Der Vertragsinhalt, oft als „Magna Charta der Württemberger“ hochstilisiert, sollte den Tübinger Vertrag für die nächsten drei Jahrhunderte zu einer Art „Staatsgrundgesetz“ machen.
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IV. Bekenntnisse der Ausgetretenen im Amt Schorndorf
Nachdem der Anführer des ‚Armen Konrad‘ im Amt Urach und auf der Alb, Singerhans von Würtingen, bereits im Juni 1514 gefangen genommen und offenbar unter der Folter verhört worden war, wurden auch die anderen Aufständischen des ‚Armen Konrad‘ dem herzoglichen Strafgericht unterworfen. Sie wurden gefangen gesetzt, zum Teil unter der Folter verhört und gerichtet.
Das Gerichtsprotokoll über die Verhöre im Amt Schorndorf dokumentiert zunächst die unter der Folter der „Waag“, einer Streckvorrichtung, erpressten Geständnisse. So erklären zunächst Hans Schnider und Hans, der Schwiegersohn (tochtermann) der Messerschmiedin, die ihnen bekannten Vorfälle. Sie zitieren gewaltstrotzende Sprüche ihrer Mitverschörer, nennen deren Namen und Treffpunkte bzw. Ratschläge und beschreiben die gegenseitige Schwurverpflichtung für den ‚Armen Konrad‘:Bekhanntnus der gefangen uß der stat vnd dem ampt schornndorf durch die marter der wag. Actum sonntags nach oswaldi anno XIIII.
Hanns schnider bekennt: Der Humel hab vnderm Vnndern thor gesagt: „wir wöllen ain mal die grossen köpff stechen, das Inen die kutlen an die erden müssen fallenn“.
Hanns messerschmiden dochterman bekennt: Er sey auch Zum ‚Armen conrat‘ in sin ratschlag gangen, in caspar pregatzers hus, darby sind gewesen casper pregatzer, […].
Diese yetzbenempten habenn sich in ‚armen conrat‘ begebenn vnnd gerautschlag[t], das sie by ainannder plibenn vnnd meinem gnädigen herren der schatzung halb nichs gebenn wöllenn vnnd sich des mit uffgehabten hännden an aide[s] stat also zu ainannder verpflicht, ainannder nit zu uerlassenn […] Syen sie ains wordenn, sie wellen denen in dörfern schriben vnnd sie bewegenn, Irer parthey Zu sein, das haben sie gethan vnnd gen butelspach vnd In alle dorffer In das tal geschriben umb beystand. […]
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IV.9 Gerichtsurteile über die Aufständischen im Amt Urach
Nach Verhören unter der Folter wurden 14 mutmaßlich Anführer des Aufruhrs vom Uracher Gefängnis direkt nach Tübingen überstellt. Dort hatten sie sich vor dem herrschaftlichen Gericht zu verantworten. Anschließend wurden auf dem Marktplatz vor dem Rathaus Exempel statuiert und die „Schandtäter“ öffentlich vorgeführt: Thoma Bader aus Dettingen und Conlin Griesinger aus Bleichstetten wurden bei entblößtem Oberkörper durch den Nachrichter (Scharfrichter) auf dem Weg vom Rathaus bis zum Neckartor mit Ruten ausgepeitscht. Peter Clementz aus Würtingen wurde eineinhalb Stunden öffentlich ins Halseisen gelegt. Danach brannte ihm der Nachrichter mit einem glühenden Brandeisen ein Hirschhorn auf die Stirn – zum Gedächtnis, als Exempel und zur Warnung:
[…] Zwuschent dem anwald etc. vnnd Thoma Badernn von Tettingen vnnd Conlin Griessingern von Bleichstetten erkennen die Richter etc. zu Recht, das dieselben Tonlin [!] vnnd Thoma dem nachrichter In sin hannd vnnd band geben vnnd beuolhen werden, der soll sie beid emplosen bis vff die gurtel vnnd von dem Rathus hinus bis fur das Neckerthor mit Rutten schlahen. Vnnd dartzů sol ouch ir yeder sin leben lang furter hin dehein wer, waffen noch harnasch mer tragen, ouch in dhein offen zech mer zu dem win gon, alles on sonder gnedig erlouben unnsers gnedigen fursten vnd herren, Inen vnnd andern lutten zů einem Exempel vnnd warnung, sich furter sollicher vngepurlichen Reden vnnd handlungen wissen vnnd haben zů verhuttenn. […]
Zwuschent dem anwald etc. vnnd Petter Clementzen von Wirtingen erkenen die richter mit vrtheil zů recht, das er, Petter, dem Nachrichter In sin hannd unnd band geben vnnd beuolhen werden sol, das er In vor dem rathus einundhalb Stund In das halsysin stelle vnnd darnach mit einem gluwenden yßin ein hirschorn vornen an sin sturnen zů gedechtnus brennen, Im vnnd andern zu einem exempel vnd warnung, sich vor sollichen vngepurlichen Reden vnnd handlungen wissen vnnd haben zů verhutten. […]
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IV. Gebrochener Gerichtsstab
Bei Gerichtsverfahren, die mit dem Todesurteil für die Angeklagten endeten, brach der Richter seinen Gerichtsstab entzwei: So war der gebrochene Stab im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit das Zeichen des Todesurteils und damit gleichbedeutend für den Ausschluss des Verurteilten von den Lebenden. In dieser Symbolsprache war das Gerichtsverfahren gleichzeitig beendet; der Richter warf den zerbrochenen Stab zu Boden und der Verurteilte wurde zur Hinrichtung geführt.
Außergewöhnlicherweise haben sich gebrochene Gerichtsstäbe bei Prozessakten erhalten. So auch beim Protokoll über die Hinrichtung des Leonhard Michel Schneider von Tüngendorf im Archiv der Erbschenken von Limpurg-Gaildorf. Leonhard Michel Schneider wurde wegen mehrfacher Diebstähle am 15. Juni 1753 in Gaildorf zum Tod verurteilt und hingerichtet.
Eine kolorierte Federzeichnung aus der Halsgerichtsordnung der fränkischen Stadt Volkach am Main zeigt die Gerichtsszene mit dem Richter (Judex), den Schöffen und dem gebrochenen Stab am Boden.
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Der Katalog der Strafen
Todesstrafen wie das Ertränken, die Verbrennung auf dem Scheiterhaufen, die Enthauptung und das Erhängen werden hier vorgeführt. Als grausamste und schändlichste Strafe galt das sogenannte „Rädern“, bei dem dem fixierten Verurteilten mit einem schweren Wagenrad zunächst die Knochen zerschlagen wurden, damit er anschließend in oder auf die Radspeichen geflochten werden konnte. Mit dem Rad wurde der Verurteilte – bereits tot oder noch lebendig – auf einem hohen Pfahl aufgestellt und den Vögeln zum Fraß angeboten.
Auch Verstümmelungsstrafen wie das Handabschlagen oder das Augenausstechen gehörten zu den „peinlichen“ Strafen, ebenso wie das öffentliche Auspeitschen mit Ruten und die Hängung in das Halseisen am Pranger Schändung und Entehrung bedeuteten – so wie diese auch für etliche Aufständische des ‚Armen Konrad‘ bekannt sind.
Nach den unter der Folter erlangten Geständnissen wurden an den Anführern des ‚Armen Konrad‘ zahlreiche Todesurteile – zumeist Enthauptungen – vollstreckt. Zur weiteren Abschreckung wurden die Köpfe einiger Enthaupteter auf den Stadttoren in Schorndorf und Stuttgart bis zur Verwesung ausgestellt.
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Der Fürst sitzt vor Gericht
Das Gerichtsverfahren gegen die Aufständischen wurde anhand der Geständnisprotokolle geführt. Die entsprechend fixierten Urfehden („Urgichten“) wurden verlesen und beschworen. Den Vorsitz im Gericht führte der Richter, der den Stab in der Hand hielt und üblicherweise auch damit dargestellt ist. Der Landesfürst als oberster Richter in seinem Territorium ist hier mit einem Schwert für seine Rechtsgewalt dargestellt. Er thront in voller Rüstung über der Gerichtsversammlung. Im Vordergrund ist der Gerichtsschreiber neben dem Scharfrichter mit seinem Richtschwert und dem Verurteilten zu sehen. Herzog Ulrich hatte sich entsprechend an der Rechtsprechung über die Aufständischen beteiligt und gemeinsam mit den Gerichtsvertretern aus der Landschaft deren Verurteilung öffentlich verkünden lassen.
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IV.19 Halseisen mit Geläute
Das Halseisen mit Geläute diente zur öffentlichen Zurschaustellung der Delinquenten, die auch durch die angebrachte Glocke auf ihre Schandtat aufmerksam machen sollten. Das gebogene Eisen mit der Kugelglocke wurde erst nachträglich am Halseisen angebracht.
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IV.21 Richtschwert
Richtschwerter sind weder zur Abwehr noch zum Stechen gedacht. Daher unterscheiden sie sich von anderen Hiebwaffen durch eine sehr breite, flache Klinge ohne Spitze. Im Vergleich zu anderen Schwertern haben sie zudem den Schwerpunkt vorne, was eine besonders hohe Schlagkraft garantierte.
Mit dem Schwert hingerichtet zu werden, war bis zur Mitte des 16. Jahrhundert meist das Privileg adeliger Männer. Die Enthauptung galt – verglichen mit anderen Hinrichtungsarten, wie dem Erhängen oder Rädern – als ehrenvoller Tod, weil der Delinquent dabei nicht vom Scharfrichter berührt wurde und mit Haltung sterben konnte. Herzog Ulrich machte sich den theatralischen Aspekt der öffentlichen Enthauptung bei der Durchführung seiner Schauurteile an den Rädelsführern des ‚Armen Konrad‘ zunutze.