VI. Die Rückkehr des "Armen Konrad": Nachwirkungen und Spuren
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VI.1 Der Mord an Hans von Hutten
Spätestens mit Abschluss des Tübinger Vertrages galt Herzog Ulrich bei seinen Landständen als politisch angeschlagen. Gerade die rechtlichen Zugeständnisse an die Untertanen ermutigten die fürstlichen Berater bald, eine Umkehrung der herzoglichen Politik zu fordern. Auch die Ritterschaft trat als Opposition gegen den Landesherrn auf, um ihre herrschaftliche Stellung behaupten zu können. Als Ulrichs Stallmeister Hans von Hutten eine vermeintliche Affäre des Herzogs mit seiner Frau publik machte, rechnete der Herzog persönlich mit ihm ab – mit abscheulicher Gewalt: Bei einem Jagdausflug am 8. Mai 1515 im Böblinger Forst ermordete Ulrich Hans von Hutten und schändete den Toten, indem er den Leichnam mit dessen Gürtel wie einen gemeinen Verbrecher an seinem Degen aufhängte.
Ludwig von Hutten, der Vater des Ermordeten Hans, schildert mit einer öffentlichen Anklageschrift die Mordtat Herzog Ulrichs an seinem Sohn und fordert dazu auf, den Umgang mit dem „tyrannischen Herzog“ zu meiden und ihn aus der menschlichen Gemeinschaft auszustoßen:[...] fürter mein sun säligen / alls ainen plossen unbesorgten menschen ellendiglich und jämerlich erstochen und ermordet / und im siben tödtlich wunden und stich gethan / der er fünff hinden zurugk ein gehabt / die also an seinem todten leib funden worden sind. Solichs unschuldigen, mördischen, erbäermlichen plutvergiessens der mördisch thyrannisch hertzog / auß uberflüssiger boßhait nit gesettigt gewest / sonder den todten cörper meins suns säligen und damit mich / auch andere meine sün / unsern stammen und früntschafft auf das höchst als im möglich gewest ist zu smähen begert, einen degen in die erde gestossen / und den todten cörpel mit ainer gürtel / die er im umb den halß gelegt / daran gepunden / und damit bedeuten wöllen / als wär mein sun säliger ein solher ubelthäter gewest / der durch sein verwürckung hencken verschulldet het / [...]
Die beigegebene Illustration zeigt Herzog Ulrich über dem toten Hutten, wie er den Leichnam mit einem Gürtel an seinen Degen bindet. Damit begannen die sogenannten „Huttenschen Händel“, eine öffentliche, publizistisch geführte Streitkampagne der fränkischen Ritterschaft um die Hutten, die das Ansehen Herzog Ulrichs schwer beschädigten sollte.
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VI.2 Herzog Ulrich in der Verbannung
Als Herzog Ulrich seine selbstherrliche und aggressive Politik auch gegenüber benachbarten Herrschaften und Reichsstädten fortführte, geriet er immer stärker in die politische Isolation. Auf seinen Angriff gegen die Reichsstadt Reutlingen 1519 hin rüstete der Schwäbische Bund, dessen Mitglied Reutlingen war, zum Krieg gegen den Württemberg, besetzte das Herzogtum und zwang Ulrich zur Flucht. Die Herrschaft in Württemberg sollte nun an das Haus Habsburg übergehen, die Übergabe an den neuen Kaiser Karl V. wurde im Februar 1520 offiziell vollzogen.
Aus dieser Zeit stammt ein Holzschnitt des Nürnberger Künstlers Erhard Schön, der in seinem ursprünglichen, kolorierten Zustand das Brustbild des Herzogs mit dem Kopf im Profil zeigt und auf ein Münzbildnis von 1518/19 zurückgeht. Über dem Kopf erscheint der württembergische Wappenschild mit den drei Hirschstangen, unten auf einer gerahmten Tafel die Inschrift Vlrich von gottes genaden Hertzog zu Wirtenberg f[e]c[it] 1520. Im späteren Zustand wurde das Wappen getilgt – offenbar als Reaktion auf die Vertreibung des Herzogs und den Übergang seiner Herrschaft an das Haus Habsburg.
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VI.4 Die Urfehde des Alexander Seitz
Der Mediziner Alexander Seitz, in Marbach geboren, hatte sich in Wildbad im Schwarzwald als Agitator für den ‚Armen Konrad‘ und einer seiner intellektuellen Köpfe hervorgetan. Er entzog sich seiner Verfolgung durch Herzog Ulrich wie viele andere württembergische Aufständische durch Flucht in die Eidgenossenschaft. Doch auch im Exil setzte Seitz seinen Widerstand gegen Herzog Ulrich fort, der seinerseits weiter nach ihm fahndete. Bald wurde er in Baden im Aargau beschuldigt, die Knechte der Eidgenossenschaft gegen Herzog Ulrich aufgewiegelt zu haben, und festgenommen. Erst nach Schwörung seiner Urfehde wurde er wieder aus der Haft entlassen.
In dem eigenhändig verfassten Text berichtet Seitz ausführlich vom Verlauf seiner Anklage und bestätigt, niemanden aus der Eidgenossenschaft aufwiegeln zu wollen. Als Siegler der Urkunde tritt Hans Hentzlin, Landvogt zu Baden, auf:Ich, Alexander Sytz, doctor der artzny von Marckpach uß wirttemperger land, Bekenn und thun kund offenlich mit disem brieff und dieser miner aigner handgeschrifft, […]
möge ich ainenn gelerttenn aid lyblich zů gott und den hailgen schwerenn, das Ich des willens nie gewesen sy, daß Ich niemant uß ainer aidgnoschafft hab wollen fierenn noch uff wiglenn, dan mit ainer aydgnoschafft gunst, wissen und willen. […]
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VI.5 Das "Traumgedicht" des Alexander Seitz
Von dem fortgesetzten Kampf des Alexander Seitz gegen Herzog Ulrich gibt sein wohl noch 1515 im Druck erschienener Traktat ‚Art vnnd vrsach des Traümes‘ eindrückliches Zeugnis. An diese zunächst rein philosophisch-medizinische Abhandlung über die Entstehung von Schlaf und Traum fügt sich eine Traumallegorie, die in ihrer anschließenden politischen Ausdeutung massive Kritik an den Verhältnissen in Württemberg und insbesondere an Herzog Ulrich übt. In seiner Fürstenlehre stellt er dem Idealbild eines Fürsten die negativen Abweichungen gegenüber, die Herzog Ulrich als tyrannischen Herrscher überführen sollen. Dieser hätte sich in einen reißenden Wolf verwandelt. Wie die Wölfe zur Strecke gebracht würden, indem man sie solt ernstlich zů streichen mit stangen / spiessen / vnd bůchsen, so müssten die Untertanen einem Tyrannen uß not widerstehen. Der Traktat gipfelt in einer Friedensvision, in welcher alle Menschen auf grünen Wiesen weiden und gemeinsam mit Freunden in einem Schafstall für alle Zeit glücklich leben.
Das Titelblatt ziert ein Holzschnitt, der einen „geistlichen Waldbruder“ zeigt, dem der Traum begegnet, den Alexander Seitz allegorisch ausdeutet. Der Titeltext darüber wirbt mit „großen Wunderzeichen“, die in Württemberg erschienen seien und bezieht sich auf die Schlagworte „Herzog, Hoffahrt und Finanz“, um damit gegen Herzog Ulrichs Regierung zu polemisieren:Ein schoner tractat / darjnnen begriffen ist Die art vnnd vr- / sach des Traümes, Wann jme ze glauben sey oder nit, mit vß- / legung ains erschroeckenlich traümes ainem gaystlichen Waldbrüder begnet zuesampt der großen wund / zaichen Jm land Wirttenburg verschynen, auch / warumm sich die Fürsten sich selbs jrtzen mit / sampter bedewtnuß dieser dreyer wortt / Hertzog, Hoffart vnd Venantz, al- / les trewer maynung Durch den / hochgelertten Philozophum vnd Doctor Allexander / Sytz von Marpach / vßgangen, nuetz- / lich Edelen vnnd vn- / edlen.
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VI.6 Die Prophetie des Alexander Seitz
Nachdem Alexander Seitz weiterhin gegen Herzog Ulrich agitierte, wurde er in Baden im Aargau abermals verhaftet und sollte nach Württemberg abgeschoben werden. Doch gelang es ihm, zunächst bei den bayerischen Herzögen, den Gegenspielern Ulrichs, unterzukommen. Von 1519 bis 1521 war er in München als Stadtarzt tätig. Damals brachte er eine prophetische Schrift in Druck, die für das Jahr 1524 eine große Sintflut ankündigte: ‚Ein Warnung des Sündtfluss oder erschrockenlichen wassers Des XXIIII jars …‘
Da jetzt nur mehr die Gnade Gottes helfen könne, fordert Seitz zum Gebet auf. Er deutet wiederum „Wunderzeichen“ bzw. Sternkonstellationen, die 1520 in Wien beobachtet wurden, insbesondere für den ‚gemeinen Mann‘ und verweist auf dessen übergroße Lasten. Deutlich warnt er die Geistlichkeit: … der pfeiffer hat den rayen auffgeplasen, und nimmt die Drohungen des Pfeifers von Niklashausen wieder auf. Damit verknüpft Seitz die Warnungen vor einem neuerlichen Aufstand des ‚gemeinen Mannes‘ und gibt seiner alarmierenden Unglücksprophetie gesellschaftskritische Züge, die auf die großen Bauernaufstände im Jahr 1525 vorausweisen.
Der Titelholzschnitt unterstreicht die Unglücksbotschaft und zeigt die Wiener Himmelserscheinungen von 1520 gemeinsam mit dem Drachen der Apokalypse. Darunter ist die nahende Sintflut mit dem Ende der Welt dargestellt. Diese Schrift von Alexander Seitz steht am Beginn einer gelehrten Debatte um die Sintflut, die in den nächsten Jahren intensiv geführt werden sollte.
Alexander Seitz sollte noch 1525 nach Reutlingen übersiedeln, doch geriet er hier abermals wegen politischer Agitation im Kontext des Bauernkriegs in Konflikt mit der Obrigkeit, und musste dann weiterziehen über Straßburg, Basel und Zürich bis in die Pfalz, wo sich seine Spur verliert.
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VI.8 Die Bundschuh-Verschwörer
Zur Vorbereitung eines neuerlichen Bundschuh-Aufstands wurden 1517 breite Kreise von fahrendem Volk – Bettler, Spielleute, entlassene Soldaten – einbezogen und als mobile Agitatoren in den Städten und Dörfern entlang des Oberrheins aktiv. In über 100 Dörfern, aber auch in elsässischen Städten wie Molsheim, Rosheim oder Oberehnheim, gab es Verschwörergruppen, die sich untereinander durch eine besondere Zeichensprache verständigten.
Im September 1517 konnte der markgräflich-badische Vogt zu Rötteln zwei Verschwörer festnehmen, die breite Geständnisse über die als Bettler getarnten Bundschuher ablegten. Einer von ihnen war Michel von Dinkelsbühl, der schon 1514 am ‚Armen Konrad‘ in Württemberg beteiligt war und jetzt als Werber für den Bundschuh durch das Land zog. Er nannte die Namen von mehreren hundert Aufrühren und machte auch genaue Personenbeschreibungen. Demnach dehnte sich die Verschwörung bereits vom Hochrhein bis in den Kraichgau und vom Oberrhein bis nach Schwaben aus.
Die Obrigkeit ließ auch die Erkennungszeichen der Bundschuher skizzenartig festhalten und beschreiben: Dis sindt di verretter, die in bettlers wyß das landt besenhenn. Es folgen die Namen und individuellen Zeichen der „Verräter“: Ein Rebmesser, eine Narrenkappe, eine Krause (Gefäß), eine Jakobsmuschel mit zwei Stäben, ein Horn mit Eule, ein Horn mit Schwert, ein Horn mit Misthacke, ein Fleischmesser mit Muschel, ein Horn mit Sense – typische Zeichen der Bauern und des fahrenden Volkes. Alle diese „Bettler“ sollen in den „Bundschuh“ geschworen haben und werden nun anhand ihrer Zeichen weiter verfolgt.
Mit dem Verrat war bald auch dieser Aufstandsversuch gescheitert, Joß Fritz allerdings konnte abermals entkommen und sollte dann 1525 im Bauernkrieg nochmals eine Rolle spielen.
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VI.10 Rad zur Folter und Vollstreckung der Todesstrafe
Das „Rädern“ galt im Mittelalter und in der frühen Neuzeit als eine fürchterliche Todesstrafe, die nur an Männern vollzogen wurde. Es war die schimpflichste aller Strafen und wurde nur bei Mord und Majestätsverbrechen bzw. Landesverrat angewendet. Der Verbrecher wurde zunächst mit Pflöcken am Boden fixiert, der Scharfrichter zerstieß ihm dann mit einem großen Rad die Glieder und das Rückgrat. Der Sterbende oder Tote wurde anschließend durch die Speichen des Rades geflochten und mit dem Rad auf einen Pfosten gestellt, aufgerichtet und zur öffentlichen Abschreckung den Vögeln ausgeliefert.
Daher galt es als Gnadenerweis, wenn der erste Stoß (gegen den Hals des Verurteilten) bereits tödlich war.
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VI.13 Hartmann Schedel: Das jüngste Gericht
Das jüngste Gericht steht am Ende aller Zeiten, mit der Entscheidung über ewiges Leben und Verdammnis. Der berühmte Holzschnitt am Ende von Hartmann Schedels Weltchronik zeigt Christus als Weltenrichter über die Verstorbenen und Retter der Seelen. Er thront auf einem Regenbogen, die Erdkugel zu Füßen mit Lilie und Schwert an den Ohren. Maria und Johannes der Täufer bitten zu seinen Seiten für die Verstorbenen, zwei Engel darunter blasen zur Auferstehung. Die Verstorbenen entsteigen ihren Gräbern, die Gerechten und Gütigen schließen sich dem Zug der Glückseligen ins Himmelreich an, das Petrus aufgeschlossen hat. Die Verdammten aber werden von Teufeln in die ewige Marter des Höllenfeuers gezogen.
Schedel kommentiert: Was vnaußsprechenlicher freud vnd frolockung werden aber die gerechten und güetigen haben, so sie nach empfliehung des ewigen iamers, ellends vnd quals zu disem gerechsten [!] richter vnd allergüetigsten vater tretten vnd rue für arbait, das leben für den tod, die klarheit für die finsternus, die ewigen vnd himlischen guetere für die irdischen vnd kurtzen empfahen werden. – Im Vertrauen auf die christliche Heilsbotschaft zum ewigen Leben soll die Richtschnur der Gerechtigkeit und Güte alle Lebenden und Toten verbinden; das jüngste Gericht kennt keine Unterschiede zwischen arm und reich, Konrad und Ulrich.