Musik am Hof der Gonzaga (Hörstation)
Das hier vorgestellte Programm mit Musik der italienischen Renaissance spiegelt gut hundert Jahre Musikgeschichte.
Es beginnt mit dem Madrigal Musica son von Francesco Landini, dem berühmtesten Komponisten des italienischen Trecento, langjährigen Organisten in Florenz und Freund des Staatskanzlers Coluccio Salutati († 1397).
In dem um 1410 geschriebenen Codex Squarcialupi wird die Sammlung von Landinis Kompositionen mit diesem Madrigal eröffnet. In ihm tritt die Musica persönlich auf und klagt, die Leute würden ihre süßen Klänge (gli effecti mie dolcie) verachten und sich stattdessen an Frottolen erfreuen, an dem improvisierten musikalischen Gedichtvortrag zur Laute. Jedermann, so klagt die Musica, bilde sich ein, er könne komponieren und halte sich für den größten Künstler. Früher sei ihre holde Kunst von den Rittern und den edlen Herren gepriesen worden – also auch von den Gonzaga –, heute sei alles gleichgültig. Das betreffe allerdings nicht nur sie, die Musica, sondern sämtliche herausragenden Fähigkeiten. Der hohe Anspruch der Kunst wird im Text deutlich formuliert und dann in der Komposition eingelöst. Einen vergleichbar eindrücklichen Auftritt der Musica gestaltet 200 Jahre später Claudio Monteverdi im Prolog seiner 1607 in Mantua uraufgeführten und 1609 mit einer Widmung an Francesco Gonzaga gedruckten Favola in Musica L'Orfeo. Auch hier spricht die Musica von dolci accenti; auch hier geht es um die dulcis cantilena.
Die Balladen von Bartolino da Padua († nach 1405), zeitweise im Dienst der Carrara und dann Karmelitermönch, einem der bedeutendsten Komponisten der Generation nach Landini, gehören zur Musik des späten Trecento, in der bereits der Einfluss der französischen Musik der Zeit spürbar wird.
Die Kompositionen von Tromboncino und Marchetto Cara, die beide um 1500 am Hof in Mantua tätig waren, zeigen, wie aus der von Landini geschmähten Improvisation eine neue, spezifisch italienische Kompositionskunst geworden ist. Ihr steht nun die von Frankreich und Burgund beeinflusste internationale Kunst gegenüber, wie sie sich im Chansonnier der Isabella d'Este spiegelt. Diese Handschrift ist dadurch charakterisiert, dass alle Kompositionen ohne den ihnen zugehörenden Text aufgezeichnet sind. Man kann daher annehmen, dass die Stücke von einem Bläserensemble, das in zeitgenössischen Quellen erwähnt wird, gespielt wurden.
Aus dem Chansonnier erklingen Kompositionen von Josquin des Prez (um 1450/1455-1521), dem bedeutendsten Komponisten seiner Zeit. Schon der Lebenslauf ist eindrucksvoll: 1475 im Dienst des Herzogs von Anjou, 1480 Mitglied der königlichen Hofkapelle in Paris, 1484 bei Kardinal Ascanio Sforza, an dessen Hof er den Frottolisten Serafino dell´Aquila traf, 1489 an der päpstlichen Kapelle, 1501 wieder in Paris und 1503 in Ferrara, zog er sich 1504 als Propst nach Condé-sur-l'Eschaud zurück. Cosimo Bartoli verglich ihn mit Michelangelo (1567), und Heinrich Glarean widmete ihm in seinem 1547 gedruckten Dodekachordon eine eindrückliche, mit über 46 Seiten Notenbeispielen illustrierte Lobrede.
Die Komposition Comme femme desconfortée von Alexander Agricola (1446-1506), der 1470 in Mailand am Hof der Sforza und 1491 an der Hofkapelle in Paris wirkte und auch in Mantua zu Besuch gewesen war, gewann eine besondere Bedeutung; Josquin wählte sie als Vorlage für sein berühmtes Stabat mater.
Den Abschluss des Programms bildet Josquins großartige Messe Hercules dux Ferrarie, die Herzog Ercole I. d'Este, dem Vater der berühmten Isabella d'Este, gewidmet ist.
Ensemble Mossaico Vocale
Mirelle Hagen, Sopran; Salome Tendies, Alt; Georg Bochow, Altus; Christian Georg, Tenor; Phillip Nicklaus, Tenor; Christian Wilms, Tenor; Mihály Zeke, Tenor; Julian Popken, Bass; Christian Kiss, Laute
Stuttgarter Posaunenconsort: Henning Wiegräbe, Michael Hufnagel, Max Bentz
©Staatliche Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart
und Landesarchiv Baden- Württemberg 2011