Der Tod lauert auf dem Wanderparkplatz
Der 3. Mai 1984 ist ein normaler Arbeitstag für Siegfried Pfitzer. Der Ingenieur und Handlungsreisende besucht die Firma Balduf in Freiberg, danach bespricht er - wie immer nach einem Kundenbesuch - ein Diktiergerät.
Bis zum nächsten Besuch am Nachmittag in Marbach hat er noch etwas Zeit. Deswegen steuert er seinen Wagen auf den Wanderparkplatz in der Nähe des Klärwerks "Häldenmühle". Er ahnt nicht, dass dort der Tod auf ihn lauert. Der Polizist Norbert Pöhlke wartet in seiner Dienstuniform auf den Geschäftsmann.
Er setzt dem 47-Jährigen die Pistole zwischen die Augenbrauen und drückt ab. Die Ermittler finden die Patronenhülse später im Gras, sie riecht noch nach Pulverschmauch.
Mit Pfitzers Auto - einem BMW 520i mit Aschaffenburger Kennzeichen - fährt Norbert Pöhlke nach Burgstetten-Erbstetten. Er zieht sich eine schwarze Zorro-Maske über das Gesicht und stürmt die Bankfiliale. Mit einem schweren Vorschlaghammer zertrümmert er die Scheibe vor der Kasse, die Filialleiterin händigt dem Bankräuber schließlich 4790 Mark aus.
Eine heiße Spur finden die Polizisten allerdings nicht. Obwohl die Ermittlungen auf Hochtouren laufen, vergeht ein halbes Jahr. Angst macht sich breit im Landkreis Ludwigsburg. Die Menschen fürchten den Hammermörder. Die Wanderparkplätze sind wie leer gefegt, Kinder werden ermahnt, nicht zu weit entfernt vom Haus zu spielen. Am 28. Dezember 1984 macht der Engländer Eugene Wethey auf der Reise in die Schweiz ein Päuschen im Landkreis Ludwigsburg. In den Skiurlaub will der 37-Jährige fahren, ausspannen vom stressigen Vertreterjob. Als sein hellgrüner Golf auf den Waldparkplatz Rohrbachtäle an der Landesstraße 1115 einbiegt, wartet Norbert Pöhlke auf sein nächstes Opfer. Ein Schuss fällt. Eugene Wethey ist tot. Ein Jogger wird den Mann zwei Tage später entdecken.
Kurze Zeit später wird die Volksbankfiliale in Cleebronn überfallen. Norbert Pöhlke schwingt wieder den Vorschlaghammer, erbeutet 79 000 Mark und verschwindet.
Für die Polizisten ist der Täter nach wie vor ein Phantom. Noch am selben Abend wird die Sonderkomission "Hammer" gebildet, sie hat ihren Sitz im Schulzentrum in Großbottwar. 540 Hinweisen werden die Polizisten in den nächsten vier Monaten nachgehen, mehr als 1000 Personen überprüfen und eigene Spuren verfolgen. Man lässt sogar 37 Tonnen Erde vom Parkplatz in der Nähe des Klärwerks abbaggern - in der Hoffnung, das Projektil zu finden. Die aufwändige Aktion ist umstritten. "Dient sie nur zur Beruhigung der Bürger", wird später gefragt. Denn Sicherheit ist in den Monaten der Ungewissheit ein Fremdwort im Landkreis Ludwigsburg. Einsame Parkplätze werden nicht mehr angefahren, Anhalter nur noch selten mitgenommen. Zu wenig weiß man über den Mörder.
Dieser streift sich am 22. Juli 1985 wieder seine Dienstuniform über - aber nicht, um zur Arbeit zu gehen, sondern um zu morden. Der 26-jährige Wilfried Schneider ist auf dem Weg zur Marbacher Firma Zorngiebel, wo der Elektriker seinen neuen Job antreten will.
Ankommen wird er dort nicht. Pöhlke streckt den jungen Mann auf dem Wanderparkplatz an der L 1100 zwischen Ilsfeld und Flein nieder.
Mit dessen schwarzem Golf GTI macht sich Pöhlke auf zur Raiffeisenbank nach Spiegelberg. Als ihn der Filialleiter mit den Worten "Der Hammermann kommt" im Schalterraum empfängt, schreckt Pöhlke zurück und flüchtet.
Flugs wechselt er das Fahrzeug, steigt um auf seinen eigenen Mercedes-Kombi und wird prompt von einer Polizeistreife kontrolliert. "Aha, ein Kollege", sagt der Beamte, während er Pöhlkes Papiere durchblättert. Und er warnt: "Der Hammermann hat wieder zugeschlagen, halt dich von Parkplätzen fern."
Eine beispiellose Suchaktion startet. Doch die Leiche des jungen Mannes scheint verschollen. Erst als in den Morgenstunden des 26. Juli ein paar Starkstromtechniker auf dem Wanderparkplatz eine Pinkelpause einlegen, besteht Gewissheit: Wilfried Schneider ist das dritte Opfer des Hammermörders.
Die Polizei steht unter einem unheimlichen Fahndungsdruck. Die Ermittler überprüfen 4482 Spuren und nehmen schließlich einen Verdächtigen fest - um kurze Zeit später festzustellen, dass der italienischstämmige Polizeibeamte nicht hinter den grausamen Taten steckt.
Fred Breinersdorfer schreibt später auf dem Umschlag seines dokumentarischen Romans "Der Hammermörder", dass die Ermittler "wichtige Indizien außer Acht ließen". So hätten sie den Täter vernommen, aber keinen Verdacht geschöpft.
Die Spur führt schließlich zu Norbert Pöhlke aus Strümpfelbach bei Backnang. Der 34-Jährige ist hoch verschuldet, sein Konto dick im Minus. Die Banküberfälle sollten die private Not etwas lindern, den Schuldenberg schrumpfen lassen.
Als Polizeiobermeister und Diensthundeführer der Landespolizeidirektion Stuttgart II erfährt Pöhlke frühzeitig vom Ermittlungserfolg seiner Kollegen. Bevor die Handschellen zuschnappen können, richtet er in seiner Wohnung in Strümpfelbach ein Blutbad an. Er erschießt seine Frau und einen seiner Söhne.
Mit seinem jüngsten Sohn entschließt er sich zur Flucht. Er rast über die Autobahn nach Süden. Fast 1400 Kilometer legt Pöhlke zurück. Sein Ziel: Brindisi in Süditalien. Länger als 13 Stunden muss die Fahrt an den Stiefelabsatz des Landes gedauert haben.
Doch nach Dolce Vita steht Pöhlke nicht der Sinn - im Gegenteil: Dort angekommen, erschießt er am Strand seinen jüngsten Sohn. Dann richtet er die Waffe gegen sich selbst und setzt seinem Leben mit einem Kopfschuss ein Ende.
Erst als Pöhlke am 18. Oktober 1985 nicht zum Dienst erscheint und die Leichen seiner Frau und Kinder im gemeinsamen Haus in Strümpfelbach gefunden werden, schließt sich der Kreis. Hätte man Spur 3799 aufmerksamer verfolgt, hätte man den Mörder früher gefasst. Doch weil Gesicht und Gestalt nicht mit dem überein stimmten, was Zeugen beschrieben hatten, wurde seine Spur nicht weiter verfolgt (LKZ vom 27. Februar 1987). Ein halbes Jahr später räumt das Innenministerium Fehler einzelner Beamter innerhalb der Sonderkommission "Hammer" ein.
Der Fall Norbert Pöhlke geht als "rätselhafteste Mordserie der Nachkriegszeit" in die Geschichte ein, wird sogar verfilmt.
Der Artikel wurde am 28. Mai 2005 in der Ludwigsburger Kreiszeitung veröffentlicht. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung der LKZ.
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